26.04.23 | House of Finance: Aktuelles

Inflationsbekämpfung in Krisenzeiten

Auf der Konferenz „The ECB and Its Watchers XXIII“ betont EZB-Präsidentin Lagarde die Entschlossenheit der Währungshüter, die Inflation wieder auf das Ziel von 2 % auf mittlere Sicht zurückzuführen.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Bankenpleiten in den Vereinigten Staaten, der Sorge um weitere Turbulenzen und der hohen Inflation signalisierten EZB-Vertreter auf der Konferenz „The ECB and Its Watchers XXIII“ ihre Entschlossenheit, weiterhin entschieden gegen die Teuerung vorzugehen. Der europäische Bankensektor in Europa ist nach Einschätzung der Währungshüter nach wie vor stabil, wie sie am 22. März bei der von Prof. Volker Wieland, Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS), organisierten Konferenz deutlich machten. „Die Rückführung der Inflation auf mittlere Sicht zu einem Wert von 2 % ist nicht verhandelbar“, sagte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, vor Finanzmarktteilnehmern, Wissenschaftlern und Notenbankern. „Damit der Inflationsdruck abnimmt, ist es also wichtig, dass unsere Geldpolitik robust in eine restriktive Richtung wirkt“, sagte sie. „Und dieser Prozess beginnt nun langsam seine Wirkung zu entfalten.“ Es bestehe kein Zielkonflikt zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität.

Lagardes Eröffnungsrede folgte nur eine Woche nach der Entscheidung der Zentralbank, die Zinsen für den Euroraum um weitere 50 Basispunkte auf 3,5% anzuheben. Die Inflation im Euroraum lag im Vormonat noch bei 8,5 %. Darüber hinaus sorgten der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und der Signature Bank Anfang März sowie die Auswirkungen der Notübernahme der Credit Suisse in der Schweiz für weitere Unruhe gesorgt.

Für Philip Lane, Chefvolkswirt der EZB, könnten sich die Turbulenzen auf den Finanzmärkten als „Nicht-Ereignis“ für die Geldpolitik erweisen oder sie nur am Rande beeinflussen. Lane zufolge wird die Inflation im Euroraum zusammen mit den Energiepreisen sinken. Die weitere Abschwächung der Verbraucherinflation setze aber voraus, dass das Lohnwachstum in diesem Jahr seinen Höhepunkt erreicht. Die Bedeutung einer glaubwürdigen und eindeutigen Notenbankkommunikation in diesem Zusammenhang unterstrich Monika Merz von der Universität Wien. „Hohe Inflationsraten erlegen uns allen eine Inflationssteuer auf. Sie machen das Leben wirklich teuer“, sagte sie. In Bezug auf den Arbeitsmarkt wies Merz darauf hin, dass die Disziplinierung der Inflationserwartungen der Schlüssel zur Kontrolle der Inflation und notwendig sei, um zu vermeiden, dass eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt wird.

In einem historischen Kontext stellte Michael Bordo von der Rutgers-Universität die jüngsten Inflationserfahrungen in seinem Vortrag. „Auf eine straffere Geldpolitik der Fed folgt häufig finanzielle Instabilität", warnte er. „Steigende Zinssätze offenbaren immer die zugrundeliegenden Ungleichgewichte.“. Um das derzeitige Dilemma zu überwinden, die hohe Inflation zu senken und gleichzeitig die Finanzstabilität zu erhalten, verwies Bordo auf das Tinbergen-Prinzip, wonach jedes wirtschaftspolitische Ziel mindestens ein unabhängiges Instrument benötigt: für die Finanzstabilität die Instrumente als „Lender of Last Resort“ und für die Preisstabilität die Geldpolitik. Laut Bordo hat die EZB diesen Grundsatz befolgt. Er zeigte sich jedoch skeptisch, ob die amerikanische Notenbank Fed ihre Anti-Inflations-Entschlossenheit beibehalten werde, wenn ihre Straffung zu finanzieller Instabilität und Rezession führt.

In der zweiten Diskussionsrunde sagte Pierre Wunsch, Gouverneur der belgischen Nationalbank, zum Verhältnis von Geld- und Fiskalpolitik: „Das lang anhaltende Niedrigzinsumfeld vor der Coronakrise hat dazu beigetragen, eine Kultur des leichten Geldes zu schaffen.“ Es sei zu lange Rücksicht auf die Staatsfinanzen genommen worden, kritisierte er. „Der Euroraum flirtet seit mehr als zehn Jahren mit einer schwachen Form der fiskalischen Dominanz.“ Nun sei es an der Zeit, zum EU-Vertrag zurückzukehren. Nach Ansicht von Luisa Lambertini von der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne hat die Fiskalpolitik immer inflationäre Auswirkungen. Das langfristige Risiko höherer Kreditkosten könne jedoch zu einem Schneeballeffekt bei der Verschuldung im Verhältnis zum BIP führen. Mit Blick auf die aktuelle Wirtschaftslage mahnte Lambertini, Wachsamkeit und Flexibilität seien für den Prozess der Haushaltskonsolidierung absolut grundlegend.

Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg konzentrierte sich in seinem Beitrag auf die europäischen Fiskalregeln und kam zu dem Schluss, dass die „Whatever it takes“-Haltung der Europäischen Kommission während der Pandemie die Fiskalregeln gefährdet habe. Eine anschließende schnelle Rückkehr zu einer regelbasierten Fiskalpolitik hätte zu einem geringeren Inflationsdruck geführt. „Jetzt, wo sie am meisten gebraucht werden, sind die fiskalischen Regeln in der Schwebe“, sagte Büttner.

Zu der Frage, wie die Politik in einer Welt globaler Schocks und geostrategischer Risiken koordiniert werden kann, betonte EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta die Notwendigkeit, die Geldpolitik an die sich überschneidenden Auswirkungen der Schocks anzupassen. Drei Prinzipien seien dabei von Bedeutung: Die EZB sollte ihre Geldpolitik voll und ganz auf Daten stützen und Vorfestlegungen vermeiden, die Auswirkungen von Zinserhöhungen und Bilanzverkürzungen und die Wechselwirkungen der Instrumente kontinuierlich bewerten und berücksichtigen, wie sich die Schocks auf andere Märkte und Volkswirtschaften übertragen und welche Auswirkungen die im Ausland ergriffenen Maßnahmen haben könnten.

Nach Ansicht von Nouriel Roubini von der New York University ist die Ära der sogenannten „Great Moderation“, der niedrigen Inflation und des einigermaßen stabilen Wachstums vorbei. „Wir treten in eine neue Ära ein, einen Regimewechsel mit großer stagflationärer und schuldenbedingter Instabilität“, warnte er und verwies auf Bedrohungen wie den Klimawandel, die Deglobalisierung und die aktuelle geopolitische Lage. Willem Buiter vom Council of Foreign Relations mahnte, Notenbanken sollten sich angesichts der aktuellen Herausforderungen wie Energiesicherheit, ökologische Transformation und geostrategische Probleme der Auswirkungen auf Finanzstabilität und Preisstabilität bewusst sein. Dabei sollten Währungshüter jedoch lediglich anstreben, wirtschaftlichen und sozialen Schaden zu begrenzen. „Die Instrumente, die den Notenbanken zur Verfügung stehen, sollten voll und ganz den Aufgaben der Preis- und Finanzstabilität gewidmet sein“, sagte Buiter.